Hamburg, Schanzenviertel, Co-workingspace betahaus, 20.02.2020, 08:30 Uhr.

Es regnet. Und nicht nur ein bisschen. Es regnet so richtig. Die Hamburger*innen sagen dazu „Schmuddelwetter“, schließen den Reißverschluss der Regenjacke etwas höher und nehmen es mit stoischer Gelassenheit. Zu dritt sind wir aus dem verregneten Bochum vom Zentrum für Wissenschaftsdidaktik ins verregnete Hamburg gereist. Wir sind gerade 30 Minuten vom Hotel durch den Regen gestapft und der Regenschirm hat dabei nur mäßig gut das Wasser abgehalten, das der Wind gefühlt von unten nach oben getrieben hat. Ein wenig durchnässt kommen wir gemeinsam mit den anderen über 100 Teilnehmer*innen im betahaus, einem der ersten Coworkingspaces Europas, an und können ersteinmal erleichtert aufatmen. Es ist warm, trocken und steht da etwa Kaffee? Wir folgen dem einladenden Duft frischer Röstung und verheißungsvoller Wärme zum Eingang, registrieren uns und können unsere Jacken zum Park(a)platz bringen. Alles abgelegt, Finger an eine warme Tasse und langsam auftauen. Dabei können wir das betahaus in Augenschein nehmen. Eigentlich ein Coworkingspace, ein ultramodernes Konglomerat kleiner und großer Besprechungsorte, Büros und Arbeitsplätze hinter der Fassade des hippen Altbaus, das für die kommenden zwei Tage zum Tagungsort umfunktioniert wird. Wie sich herausstellt, eine sehr gute Entscheidung, denn das betahaus bietet genau das richtige Umfeld für ein OERcamp Classic. Was heißt OERcamp Classic? Das finden wir bei der Begrüßung heraus, als Jöran (von Jöran & Konsorten, Organisator*innen der OERcamps) uns mit einem Fünf-Minuten Countdown-Timer sanft aus den Gesprächen mit anderen auftauenden Teilnehmer*innen aus ganz Deutschland löst und den Beginn des OERcamps Classic einläutet.

Classic steht in dem Fall für ein Barcamp, ein Format mit dem das allererste OERcamp 2012 in Bremen angefangen hat. Wir werden dabei direkt über die Terminologie eines solchen Barcamps aufgeklärt. Bar steht nicht für die Bar, von der wir unseren Kaffee bekommen haben, sondern ist englisch: Bar, heißt in diesem Fall leer, ohne etwas. Dieses „etwas“ ist das Programm: Ein Barcamp hat kein vorher festgelegtes Programm, dieses wird morgens spontan erstellt. Dazu gibt es zunächst eine Einführung für alle, die mit dem Format nicht vertraut sind. Die Funktionsweise ist simpel: Wer eine Idee für eine Session hat, füllt einen Sessionzettel aus, stellt sich an und stellt diese Idee dann vorne vor. Daraufhin melden sich alle, die Interesse haben. Das Planungsteam erstellt dann einen Sessionplan und verteilt Räume.

Eine Session kann stattfinden, wenn mindestens eine Person Interesse bekundet, das kommt aber praktisch nie vor, es finden sich immer mehr Teilgeber*innen. Teilgeber*innen, der zweite Barcamp-spezifische Begriff. Da Sessions in der Regel nicht oder nur wenig vorbereitet werden, gibt es auch keine Frontalpräsentationen. Stattdessen beruht das Konzept auf Austausch. Deshalb, und weil jede*r eine Session anbieten kann, sind wir alle Teilgeber*innen. Eine solche Session kann auch nur auf einem Denkanstoß beruhen, oder der Bitte um mehr Informationen. Ein*e Sessiongeber*in muss nicht Expert*in sein. Die einzige Voraussetzung für Sessions: Sie müssen sich in irgendeiner Form, Farbe oder Geschmacksrichtung um Open Educational Resources (OER) drehen.

Projekt #OERcamp (2018), CC-BY 4.0

Projekt #OERcamp (2018), CC-BY 4.0

Dabei ist ein solches Barcamp jedoch nicht nur ein Expertentreffen. Klar, hier kommen Kolleg*innen aus der OER-Community zusammen, die teilweise schon seit Jahren an, mit oder um OER arbeiten, über die Hälfte der Teilgeber*innen ist jedoch zum ersten Mal dabei. Dementsprechend gibt es auch einführende Sessions mit einem Einstieg in OER. Ich biete am zweiten Tag morgens eine solche Session zu Creative-Commons Lizenzen an, Kathrin macht danach eine zu Urheberrecht an (Hoch-)Schulen. Aber nicht nur Einführungen werden angeboten, auch tiefergreifende Ideen werden behandelt. In meiner ersten Session am Donnerstag frage ich, wie man am besten Unwissende an OER heranführen kann, Bianca am zweiten Tag nach einer optimalen Einbindung von OER in ein Landesportal. Das sind nur die Sessions, die das Bochumer Team anbietet, allein am ersten Tag finden insgesamt 54 Sessions statt. Dazwischen ist immer wieder Zeit zum Netzwerken. Hier können Kontakte geknüpft werden und Themen aus den Sessions noch einmal vertieft werden, während man sich die x-te Tasse Kaffee gönnt und etwas Süßes von der Candy-Bar genießt. An eben jener Candy-Bar wird Donnerstagnachmittag eine ganz besondere Form Candy ausgegeben: Ein „Barcamp in a Box“ , in welchem sich alles findet, um selbst ein Barcamp zu organisieren.

So vergeht der erste Barcamp-Tag wie im Flug, und als wir um kurz nach 18 Uhr das betahaus wieder verlassen, haben sich auch die Regenwolken geöffnet (Pun intended) und ein letztes bisschen Restsonne sucht sich seinen Weg nach Hamburg. Freitag: Auf ein Neues – wir laufen zum betahaus, diesmal im Trockenen und im Glitzer einzelner Sonnenstrahlen, die die noch feuchten Straßen aufleuchten lassen. Vor Ort wird das Programm für den Tag erstellt, und auf geht’s. Was an Barcamps besonders toll ist: Dadurch, dass man an jeder beliebigen Session teilnehmen kann, kommt keine Langeweile oder Monotonie auf. Es findet sich immer etwas, wo man Lernen und/oder Lehren kann. Das wird durchaus anstrengend, immerhin ist man den ganzen Tag geistig geforderd, der Mehrwert ist aber enorm. Beladen mit neuen Ideen für OER in Bochum, NRW und Deutschland verlassen wir Freitag das betahaus und damit die sogenannte Un-Konferenz. Der letzte Terminus für ein Barcamp: Da das Programm vor Ort gemacht wird und wir uns alle mit einem netzwerkfreundlichen „du“ ansprechen, ist das OERcamp Classic eine Un-Konferenz. Vielleicht auch deshalb, weil man so viel mehr mitnehmen kann. Und damit ist nicht nur das „Barcamp in an Box“ oder das „How-to Barcamp“ Buch gemeint. Nein, man nimmt Inspiration, neue Ideen, eine Wagenladung Motivation und zahlreiche neue Kontakte mit. Da passt es, dass die Sonne zum Ende der Un-Konferenz scheint, Hamburg in ihr goldenes Licht taucht und den unvermeidbaren Frühling ankündigt. Future of OER: Wir kommen! Wie der Frühling.

Die Sessionplanung des OERcamps kann – einschließlich einer vollständigen Dokumentation jeder (!) Session hier eingesehen werden: https://docs.google.com/spreadsheets/d/e/2PACX-1vQz0ZMtLVtYmmM-A9NLj-lHYWEpAm5_WMfw2QwHl3HZilLNGRBJdACroBI_ktacNzeBW4Dk4Fin1FX0/pubhtml

Mehr Infos zu OER im Selbstlernkurs oder persönlich: http://bit.ly/EinführungOER oder Michael Fuchs, Michael.Fuchs@uv.rub.de, FNO 02/80, Tel. -29781

Mehr Infos zu OERcamps: https://www.oercamp.de/ oder bei https://open-educational-resources.de/

Dieser Artikel sowie die Bilder sind OER! Der Autor soll wir folgt angegeben werden:

Michael Fuchs, Ruhr-Universität Bochum, ZfW, CC-BY 4.0

Unser Gastautor: Michael Fuchs, studentischer Mitarbeiter im RUBeL-Team für die Themen Open Educational Resources und den eLearning-Wettbewerb 5×5000