Und zwar DIE Frage überhaupt, die sich wohl alle Lehrenden zu Beginn des Wintersemesters 2021/22 gestellt haben.

Nachdem ich während der drei vorangegangenen „Corona-Semester“ nicht in der Lehre tätig war, war ich gespannt auf die Stimmung unter den Kursmitgliedern der Lehrveranstaltung „Gendergerechte Sprache, Repräsentationen, Verarbeitung und Kognition von Genusinformation: Implikationen und Herausforderungen“: Wie viele der 26 Teilnehmer:innen vermissen die Präsenzlehre? Wie viele bevorzugen es weiterhin, den Campus nicht aufsuchen zu müssen? – Und wie viele befinden sich irgendwo dazwischen, etwa weil sie ihre Präferenz vom aktuellen Infektionsgeschehen abhängig machen?

Eine Umfrage vor Vorlesungsbeginn brachte das herausfordernde Bild hervor: Alle drei Gruppen waren zu etwa gleich großen Teilen vertreten. Die Lösung lag auf der Hand: Das Semester würde im Hybridformat stattfinden.

Die Vorteile

Für mich sprachen insbesondere die folgenden Gründe für das Hybridformat:

  • Jede Person, die in Zeiten einer Pandemie angibt, sich in einer Seminarsituation mit 27 Personen in einem Seminarraum unwohl zu fühlen, hat hierfür Gründe. Ohne die Gründe kennen zu müssen, möchte ich den Studierenden ein Setting bieten, das eine Teilnahme ohne Angst oder Unwohlsein ermöglicht.
  • Sind Studierende gebeten, dem Campus bei Krankheitssymptomen fernzubleiben, muss ihnen für diesen Fall die Möglichkeit geboten werden, dennoch an der Lehre teilzunehmen.
  • Nicht zuletzt führt das Format unweigerlich dazu, dass sich weniger Personen im Seminarraum aufhalten, was die Situation auch für diejenigen, die sich beim Aufenthalt mit mehreren Personen in geschlossenen Räumen unwohl fühlen, entspannt.

Erstmal Überblick verschaffen

Dass das Seminar hybrid stattfinden würde, war also keineswegs von Beginn an geplant. Vielmehr waren es die Umstände, die dafür sorgten, dass ab der zweiten Sitzung alle selbst entscheiden konnten, ob sie online oder vor Ort teilnehmen. Das war nicht nur für mich selbst neu, auch die Seminarteilnehmer:innen hatten bisher keine Erfahrung mit dem Format, und so hieß es für uns alle: Ausprobieren und rantasten.

Weil Erfahrungswerte fehlten und kaum abzuschätzen war, wie sich die Personen auf die beiden Möglichkeiten der Teilnahme verteilen würden, wurde für jede Sitzung eine – unverbindliche – Umfrage in Moodle eingestellt, in der Teilnehmer:innen für die jeweilige Sitzung angaben, auf welchem Weg sie teilnehmen. So ließ sich nicht nur ein Überblick darüber verschaffen, wie viele Personen im Seminarraum zu erwarten wären; auch Trends, dass etwa durch steigende Inzidenzen mehr Studierende lieber online teilnehmen möchten, lassen sich so frühzeitig ablesen.

Präsenz wird dankbar angenommen

Die Befürchtung, dass sich möglicherweise auch mal alle Teilnehmer:innen für die Online-Teilnahme entscheiden, ist bisher übrigens nicht eingetroffen. Im Durchschnitt teilen sich die Personen etwa zur Hälfte auf beide Teilnahmewege auf, natürlich mit Schwankungen.

Deutlich ist aber, dass Studierende, die regelmäßig vor Ort teilnehmen, diese Möglichkeit mit einiger Erleichterung und Dankbarkeit annehmen – nach drei Online-Semestern zieht es  nicht alle, aber  einen Teil der Studierenden wieder auf den Campus.

Keine Angst vor Technik!

Die Technik ist vermutlich der Punkt, der viele Lehrende vom Hybridformat abschreckt. Tatsächlich ist das aber nicht nötig. Zahlreiche Seminarräume der RUB sind inzwischen hybridfähig, mit Zoom können wir mittlerweile (fast) alle umgehen und die Medienpulte müssen im Seminar ohnehin bedient werden.

Die kleinen und großen Herausforderungen

Nachdem das Hybridsetting problemlos aufgebaut werden konnte, stellten sich schnell weiterführende Fragen:

  • Wo positioniere ich mich im Raum, um die Online- und Präsenzteilnehmer:innen gleichermaßen im Blick zu haben und von Kamera und Mikrofon erfasst zu werden, ohne den Personen vor Ort den Rücken zuzukehren?
  • Nutze ich einen oder zwei Computer?
  • Wie gelingt es, eine homogene Seminargruppe herzustellen, wenn sich nicht alle zusammen im Raum aufhalten?

Einige dieser Fragen lassen sich mit der Zeit beantworten, für andere ist weiteres Ausprobieren nötig. Ich bevorzuge  beispielsweise, zwei Computer zu nutzen: Einen (ggf. den stationären), über den das Zoom Meeting gehostet wird, und einen zweiten, der sich zusätzlich in den Zoom Raum einwählt und hier bspw. die Präsentation teilen kann. Der Vorteil: Ich bin mobil, was die Positionierung im Raum vereinfacht.

Genau diese Frage der Positionierung lässt sich nämlich nicht pauschal beantworten.  Es hängt von den Raumgegebenheiten ab (hallt es stark?), den installierten Medien (sind sie mobil?), der Gruppengröße vor Ort, den Inhalten einer Seminarsitzung (wird ein Whiteboard genutzt?) etc.

Das führte unweigerlich dazu, dass in jeder Sitzung ein neues Setting ausprobiert wurde – und damit zu einer gewissen Dynamik, die dadurch hervorgerufen wurde, dass alle Beteiligten ein neues Format gemeinsam erarbeitet/ausprobiert haben.

Die Rolle der Studierenden

Der Punkt „alle Beteiligten“ ist ein ganz wesentlicher Faktor, denn noch mehr als jedes andere Seminar ist das Hybridseminar in meinen Augen angewiesen auf die Mitarbeit und das Engagement der Studierenden. Das fängt damit an, dass Online-Teilnehmer:innen zwangsläufig ihre Kamera aktivieren sollten, damit das Gefühl eines gemeinsamen Seminars entstehen kann. Es geht damit weiter, dass sie unbedingt Rückmeldung zu Ton- und Bildqualität geben müssen, die ich selbst vor Ort nicht einschätzen kann. Und es schließt ein, dass alle Personen vor Ort ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass es noch weitere Seminarteilnehmer:innen gibt als jene im Seminarraum.

„Und was sagt ihr in Zoom dazu?“

Insbesondere Letzteres funktioniert ausgezeichnet. Die Studierenden vor Ort haben innerhalb kürzester Zeit Wege gefunden, ihre Kommiliton:innen zu Hause in das Seminar einzubeziehen.

Wortmeldungen, die aufgrund der technischen Voraussetzungen per Zoom nicht verstanden wurden, werden regelmäßig von Studierenden, die sich näher am Mikrofon befinden, zusammengefasst und wiederholt. „Möchte noch jemand aus Zoom etwas dazu sagen?“ ist unter den Teilnehmer:innen zu einer Standardfrage geworden. Wenn die erste hybride Diskussion im Gange ist, freut man sich richtig: Das Format kann funktionieren!

Nachteile und Schwierigkeiten

Dennoch ist klar: Ein Hybridseminar stellt gewisse neue Herausforderungen an alle Beteiligten. Nach drei Online-Semestern kann allein das freiwillige Aktivieren der Kamera ein Problem darstellen. Als Lehrende laufe ich unter Umständen Gefahr, die Verbindung zu den Studierenden zu verlieren, die regelmäßig online teilnehmen, die ich trotz aller Beteiligung weniger gut kennenlerne als die Personen, mit denen ich mich in einem Raum aufhalte. In der didaktischen Aufbereitung des Seminars sollte das Format unbedingt berücksichtigt werden, und ohne das Engagement der Studierenden wäre es sicher nicht so erfolgreich. Und schließlich kann die Zuschaltung per Zoom die physische Präsenz im Raum doch nie gänzlich ersetzen, in der so viel mehr wahrgenommen werden kann als es (zumindest zur Zeit noch) über Zoom möglich ist.

Vorläufiges Fazit

Wie viele, freue auch ich mich, wenn eines Tages wieder problemlos – und verlässlich – Präsenzseminare möglich sind. Für die aktuelle Situation ist das Hybridformat aber eine großartige Möglichkeit, möglichst viele Bedarfe zu decken. Auch über die Pandemie hinaus bietet diese Methode zahlreiche Vorzüge. Ich kann nur empfehlen, sich mit dem Format zu beschäftigen – und es einfach mal auszuprobieren.