Am 08. November 2019 fand an der Universität Regensburg eine internationale Tagung zum Thema „Reading in a digital environment: Media Use, Functional Literacies and Future Challenges for Universities“ statt. An dieser Tagung hat Delia Becker, Projektkoordinatorin für den Online-Kurs „Sprach- und Textverständnis“ im Studiport, teilgenommen.

Lesen ist die Bedingung für das Lernen an der Hochschule. Aber: Lesen ist nicht gleich Lesen. Der Leseprozess ist sowohl vom Leseziel als auch in neuerer Zeit immer mehr von dem Medium, in dem gelesen wird, abhängig. Doch nur wenige Studien haben sich bisher mit den Lesefähigkeiten, die es im digitalen Zeitalter für den akademischen Erfolg braucht, beschäftigt. Auf der Tagung wurden einige dieser Studien vorgestellt und die zukünftige strategische Ausrichtung der Förderung von Lesekompetenz an Hochschulen und Bibliotheken diskutiert. Ausgangspunkt der Vorträge und Diskussionen war die Stavanger-Erklärung. Diese wurde im Jahr 2018 von mehr als 200 europäischen Forscher*innen aus der Schreib- und Leseforschung herausgegeben. Sie fasst Forschungsergebnisse und -fragen zum Einfluss der Digitalisierung auf die Lesepraxis zusammen.

Aufgrund der Forschungsergebnisse ist im akademischen Kontext davon auszugehen, dass das Lesen von wissenschaftlichen Texten auf Papier noch immer zu einem besseren Textverständnis beiträgt als das Lesen auf dem Bildschirm. Auch die Konzentration auf die Inhalte der Texte scheint in diesem Fall höher zu sein, denn Lesende (einschließlich der sogenannten „digital natives“) neigen dazu, Texte am Bildschirm nur zu „scannen“ und zu „überfliegen“. Dennoch sollte sich die Diskussion nicht in einem Entweder-oder erschöpfen, sondern zu einem Sowohl-als auch führen. Die Frage sollte sein, welches Medium zu welcher Form des Lesens passt und welche Lesestrategie hierfür angemessen ist. Hierbei müssen Lesestrategien für das Lesen am Bildschirm (wie für das Lesen auf Papier) erlernt und geübt werden.

Da das Gelesene aber nicht nur verstanden, sondern auch reflektiert werden soll, war das „kritische Lesen“ ebenfalls Gegenstand der Vorträge. Gerade durch das Internet sähen wir uns verstärkt widersprüchlichen Informationen in Texten ausgesetzt. Hilfreich könne es hier sein, sich die Metadaten der Texte anzuschauen und Fragen zu stellen (z. B. Wer ist der Autor? Wer hat die Studie in Auftrag gegeben? usw.), um das Textverständnis zu erleichtern. Hier zeige sich sowohl das Potenzial als auch die Herausforderung beim Lesen im Internet: User*innen seien vielen verschiedenen Perspektiven ausgesetzt; die Quellen jedoch seien von großer unterschiedlicher Qualität.

Es könne also nicht davon ausgegangen werden, dass Studierende die Kompetenz mitbringen, längere wissenschaftliche Texte am Bildschirm zu lesen und zu verstehen, gerade weil sie sich, laut Studien, in dieser Hinsicht schnell selbst überschätzen. Studierende müssen für unterschiedliche Lesekontexte sensibilisiert werden. Es dürfe nicht passieren, dass das schnelle, überfliegende Lesen ohne kritisches Nachdenken zum üblichen Lesestandard werde. Dafür sei regelmäßiges Üben notwendig, aber auch das Wissen über Tools und Programme, die das Lesen am Bildschirm unterstützen.

Zukünftige Fragen, die in der Forschung gestellt werden müssen, beziehen sich u. a. auf die Schwierigkeit, wie genau das Lesen am Bildschirm geübt werden soll. Können Lesestrategien, die bei analogen Texten angewendet werden, auf digitale Texte übertragen werden? Überträgt sich das fragmentierte, weniger konzentrierte Lesen vom digitalen auf den analogen Bereich? Auch ein Perspektivwechsel von den Studierenden hin zu den Hochschullehrenden könnte ein interessantes Bild ergeben: Wie gehen Hochschullehrende mit den Lesekompetenzen der Studierenden um und wie schätzen sie diese ein?

Alles in allem war es eine sehr informative (und hervorragend organisierte) Veranstaltung mit spannenden Vorträgen und Diskussionen.