Vom 27. bis 28. Februar 2019 trafen sich Lehrkräfte aus Schulen aller Schulformen sowie Hochschuldozenten/innen und Wissenschaftler/innen an der Philipps-Universität Marburg zum Austausch über Aspekte des „Inverted Classroom“ (ICM) im deutschsprachigen Raum.

ICM – das steht für Inverted Classroom Model, ein Lehrmodell, das auf der Idee basiert, die grundlegenden Aktivitäten einer klassischen Lehrveranstaltung „umzudrehen“. Entgegen traditioneller Lehrkonzepte erfolgt der inhaltliche Input üblicherweise out-of-class, d. h. zu Hause in Einzelarbeit, während weiterführende Aufgaben meist in-class, d. h. im Dialog zwischen Lehrenden und Studierenden bearbeitet werden.

Die Veranstaltung war zweigeteilt. Am Dienstag, den 26.2.2019 begann die Konferenz am Nachmittag nach der Eröffnung mit Jethro Tull-Flötensolo durch Prof. Handke mit einem Vortrag von Andreas Wittke (Technische Hochschule Lübeck). Die Playlist enthält die Vorstellungen der Keynote-Sprecher und die Eröffnung.

Dipl.-Ing. Wittke beschrieb anschaulich, wie die Zukunft der digitalen Hochschule aussehen könnte und verortete die Bedeutung und Entwicklung von MOOCs, Blockchains und Künstlicher Intelligenz (KI) in der heutigen Bildungslandschaft. In einem aktuellen Projekt wird etwa die Blockchain Technologie für digitale Hochschulzertifikate genutzt und ein Edubot für Studierendenanfragen trainiert. Oncampus z. B. erhält 35% aller Anfragen per Chat auf der Homepage. Diese werden von einem Bot namens „Hilfe-Heidi“ bereits zu 89% erfolgreich beantwortet. Andreas Wittke ging auch darauf ein, wie KI die Lehre verändern könnte. Die Folien des Vortrags sind offen auf Slideshare zugänglich.

Unterschiedliche Workshops rundeten den sonnigen Nachmittag ab. Der „Roboter im ICM“ Workshop mit Katharina Weber und Patrick Heinsch, beinhaltete Ergebnisse des Bmbf- Projekts H.E.A.R.T (Humanoid Emotional Assistant Robots in Teaching). Das Forschungsprojekt erforscht den Einsatz menschenähnlicher Roboter im Unterricht.  Mit der „Quizmaster-App“ können Studierenden kompetenzbezogene Fragen im Hörsaal gestellt werden. Mit der „Student-Advisor-App“ können die Roboter auf der Basis von Lernerdaten ein persönliches Beratungsgespräch mit Studierenden führen. Die Interaktion mit so einem Roboter bewirkt bei einigen Teilnehmenden Neugierde, bei einigen auch Abwehr-Verhalten. Das nennt man auch Uncanny Valley Effekt.  Der Roboter Yuki spricht einen Konferenz-Teilnehmer an „Karlheinz, was interessiert Dich heute hier?“ und er antwortet ihm mit Augenkontakt.

Mehr über humanoide Roboter in der Bildung finden sich im dazu passenden MOOC.

Der Mittwoch (27.2.2019) startete mit einem Vortrag zu Open Educational Resources von Alexander Schnücker (Universität Siegen). Open Educational Resources (OER) sind Bildungsmaterialien jeglicher Art und in jedem Medium, die unter einer offenen Lizenz veröffentlicht werden. Wer sich spielerisch mit OER beschäftigen möchte, sollte das Spiel „Mensch OERgere Dich nicht“ herunterladen. Schnücker sprach darüber, eine mögliche Schwelle zwischen Lehrenden zu den Studierenden mittels digitaler Medien zu überschreiten (shift from teaching to learning): Weg vom Lehrenden als Alleinunterhalter/in hin zu einem kooperativem & individuellem Lernen. Er mahnte an, das nicht geschaut werden sollte, welche Geräte für die Lehre angeschafft werden, sondern die Digitalisierung als soziale Innovation zu verstehen sei. Zentrale Fragen seien hierbei: Wie soll eine offene Gesellschaft aussehen und wie kommen wir dort hin?

Es folgte die Postervorstellung und Workshops von Inverted Classroom-Ansätzen aus verschiedenen deutschen Hochschulen. Aus dem Bereich der Ingenieurwissenschaften stellte Miriam Lorsch (TU Clausthal) mit wunderschönem Blick auf die Marburger Skyline eine Einführungsveranstaltung nach ICM für Ingenieurwissenschaftsstudierende vor: Zu Beginn gibt es 2 Stunden in Präsenz, dann folgt ein Selbststudium mit Videos, Arbeitsblättern und Lernzielbeschreibung, Checkliste und Skript zu technischem Zeichnen. Es gibt ebenfalls eine wöchentliche Sprechstunde als Angebot für die Studierenden. Das „Technische Zeichnen“ wird als die Sprache der Ingenieure verstanden, sodass sehr viel Wert auf die Anwendung der vermittelten Kompetenzen gelegt wird.

Nach der Mittagspause gab es weitere Workshops. Bei „Inverted Classroom: Wer profitiert, wer verliert? Die Rolle der Selbstregulationskompetenz beim invertierten Lernen“ stellten Prof. Karsten Morisse und Nathalie Pöpel (HS Osnabrück) Erkenntnisse der Forschung dar. So wurde bestätigt, dass je häufiger Studierende an Sitzungen teilnehmen, sie umso bessere Leistungen erreichen. Befunde zu Typen des Arbeitsverhaltens in der Pre-Class Phase (Kovanovic et al. 2010), wie etwa die Intensiv-Lernenden, regten die Diskussion an.

Den Abschlussvortrag hielt Dr. Martin Ebner (Technische Universität Graz) zu „Bildungsinformatik als Motor zur digitalen Mündigkeit?“ Unterhaltsam wies er darauf hin, dass informatische Bildung in vielen Ländern der Welt bereits in Kindergarten und Volksschule anfängt, während es in Deutschland und Österreich gerade mal Ambitionen für Sekundarstufe I und II gäbe. Um digital mündige Bürgerinnen und Bürger heranwachsen zu lassen, empfiehlt Dr. Ebner das „Tun“ in der Bildung zu fördern, z. B. durch Maker Spaces. Digitale Mündigkeit definiert sich als das Verstehen und Anwenden von digitalen Technologien, um den Alltag von morgen gestalten zu können. Making in education bedeutet: Lehrende sind Cocreatoren und Lernende bauen Artefakte durch kreatives digitales Schaffen. Prinzipien der Maker Education: Scheitern ist erlaubt / es dürfen digitale Tools sein / es darf selbstorganisiert sein – mit Erwachsenen auf Augenhöhe, interdisziplinär. Aus den vielfältigen Erfahrungen der TU Graz mit Maker Days ist ein Anleitungsbuch entstanden.

Sie haben Interesse am Einsatz des Inverted Classroom Konzepts in Ihrer Lehre?

Im Einzelnen kann das Inverted Classroom-Konzept in unterschiedlicher Form umgesetzt werden, doch zentral für sein Gelingen ist das Online-Material, mit dem sich die Studierenden auf die Präsenzsitzungen vorbereiten. Um ein gutes Verständnis der Inhalte zu gewährleisten, empfehlen sich selbsterstellte, auf die Zielgruppe angepasste, Lehrvideos oder ggf. bereits vorhandene kurze Ausschnitte aus Vorlesungsaufzeichnungen, die optimaler Weise von Arbeitsblättern, Online-Übungen oder kleinen Quizzes begleitet werden. Erste Tipps erhalten Sie in unserem offenen Moodlekurs zu dem Thema ICM. Zur Umsetzung berät sie aus dem eLearning-Team der RUB gerne auch Sabine Römer unter +49 234 32 25992 sowie das eTeam Digitalisierung.